Schöntrinken unnötig

Man soll ja bekanntlich besser nicht zu tief ins Glas schauen. Philipp Keßler fand aber genau dort die Inspiration für sein nächstes Kajak-Abenteuer.

Gemeinsam mit einigen Gleichgesinnten machte er sich auf den Weg in die älteste Stadt Deutschlands, um von dort aus rund 170 Kilometer auf der Mosel zurückzulegen – entlang von schier endlosen Weinhängen, gemütlichen Winzerstädtchen und geschichtsträchtigen Burgen.

 

 

Mit dem Kajak von Trier nach Hatzenport

 

Text & Bilder: Philipp Keßler

Die Mosel bei Koblenz

Die Feuerschale knistert wärmend vor sich hin, der Grill ist längst wieder abgekühlt. Wir sitzen warm eingepackt und gut gesättigt auf der Terrasse am Feuer und plaudern über den hoffentlich bald kommenden Sommer. Welchen Fluss, welche Region wollen wir in diesem Jahr mit unseren Kajaks erkunden? Ich hole eine Flasche Wein aus der Küche, und während ich das flüssige Rot in die Gläser einschenke, lese ich auf dem Etikett dessen Herkunft: Traben-Trarbach, Mosel. Eine kurze Internet-Recherche später steht das Ziel fest. Trier, wir kommen!

Wenige Monate später sind alle Sachen gepackt, die Vorbereitungen abgeschlossen, die Boote auf den Autodächern festgezurrt und wir tingeln gen Süden. Für uns Flachlandpiraten aus der Mitte Niedersachsens ist es immer wieder etwas Besonderes, dort in See zu stechen, wo steile Hänge und weite Gipfel das Ufer und den Horizont säumen. Daher ist unsere Vorfreude umso größer, auch wenn wir unseren einwöchigen Trip zunächst im Trierer Becken starten, wo wir unsere Blicke noch relativ weit in die Ferne werfen können. Was landschaftlich zunächst noch auf sich warten lässt, macht dafür die älteste Stadt Deutschlands bei Weitem wieder wett. Trier wurde einst von den Alten Römern gegründet und besticht mit etlichen historischen Gebäuden. Besonders das Wahrzeichen der 100-Tausend-Einwohner-Stadt, die Porta Nigra, sollte man sich nicht entgehen lassen.

Das Porta Nigra in Trier

In Trier werden die Kajaks das erste Mal beladen.

Am Steg des Rudervereins, direkt am Trierer Campingplatz, dürfen unsere Boote erstmals das Mosel-Wasser kosten. Sie liegen tief im Wasser, denn für sieben Tage muss schließlich einiges an Equipment mit. Aber kein Problem, selbst der Prijon Enduro 380 von Julia entpuppt sich einmal mehr als echtes Platzwunder. Und bei Maik und Sascha in ihren Seatron GTs ist so viel Stauraum verfügbar, sodass dort auch die ein oder andere „Notfallflasche“ Bier noch ihr Plätzchen findet.

Schon nach wenigen Paddelschlägen kommt uns das erste Flusskreuzfahrtschiff entgegen und zwängt sich unter der alten Römerbrücke hindurch. Für uns wird es bei der Unterquerung deutlich unproblematischer und obendrein sind wir extrem froh, uns nicht für einen solch großen Pott entschieden zu haben, sondern die Freiheit in unseren Kajaks genießen zu dürfen.

Im Stadtgebiet von Trier überqueren mehrere Brücken die Mosel

Fenster an Fenster: Flusskreuzfahrtschiffe sind ein ständiger Begleiter

Die Sonne meint es an diesem Tag besonders gut mit uns und mit Strömung hat es die Mosel ohnehin nicht so. Lediglich hinter den Schleusen und Staumauern, von denen wir während unserer Fahrt insgesamt sieben Stück passieren werden, schaltet das Wasser für überschaubare Distanzen einen Gang hoch. Den Großteil der Etappen könnte man vermutlich auch mühelos flussaufwärts bewältigen. Für Abwechslung sorgt auf dem Wasser in aller Regelmäßigkeit die Binnenschifffahrt. Kein Wunder, schließlich gilt die Mosel als zweitwichtigste Wasserstraße der Bundesrepublik. Doch im Vergleich zum Rhein geht es hier wesentlich gemütlicher zu, fast so, als ob auch die Berufskapitäne die ­­­­Schönheit der Region jedes Mal aufs Neue genießen würden. Für uns Kanuten bedeutet das dennoch immer wieder Vorsicht walten zu lassen, aber die langgezogenen Wellen der Schubkähne sorgen meist für eine willkommene Abwechslung und wir müssen nicht einmal die Spritzdecken unserer Kajaks schließen.

Hinter dem Trierer Becken werden die Ufer allmählich steiler.

Nach den ersten 14 Kilometern erreichen wir Schweich und legen eine kurze Pause ein. Hinter der nächsten Kurve erblicken wir sie dann, endlich: Die riesigen Weinhänge. Fein säuberlich werden hier seit Jahrhunderten Reben angepflanzt, gegossen, geschnitten, gedüngt, geerntet – was umso beachtlicher erscheint, erkennt man erst einmal, wie steil die Hänge tatsächlich sind. Ein grandioser Anblick, den wir von nun an bis zum Ende unseres Trips Tag für Tag genießen dürfen, und den man sich auf keinen Fall schöntrinken muss.

Am Campingplatz in Klüsserath

Am Campingplatz in Klüsserath

Schleuse Wintrich

Schleuse Wintrich

Die Sonne knallt unerbittlich und die 32 veranschlagten Kilometer für diesen ersten Tag ziehen sich dann doch schon etwas. „Wie weit ist´s denn noch“, ruft Maik mir missmutig zu. Ich schaue auf die Karte und gebe artig Auskunft: „Hinter der nächsten Geraden folgt direkt die Schleuse, dann sind wir schon in Klüsserath.“ Auf dem dortigen Campingplatz wollen wir unsere Zelte aufschlagen, doch besagte Schleuse versperrt uns den Weg und ist ausgerechnet in dieser Woche gesperrt. „Wartung“ steht auf der Anzeigetafel. „Oh man“, klagt Maik erneut. Hilft aber nicht: Wir wuchten die Kajaks auf die Bootswagen und umtragen die Schleuse. Die deftigen Bratkartoffeln und das Schnitzel im Campingplatz-Restaurant am Abend bringen Maiks Motivation schließlich wieder zurück.

Die Nacht war kürzer als gedacht. Ein unerwarteter Sturm macht sich daran, unser Tarp davonzuwehen und erforderte einen ungewollten Spontaneinsatz im Dunkeln. Also Wasserkocher an, denn Kaffee am Morgen, vertreibt bekanntlich Kummer und Sorgen. Als alles wieder in den Booten verstaut ist, geht es zurück aufs Wasser. Wir legen noch eine Schippe drauf, heute stehen 34 Kilometer auf der Agenda. Hinter einer langgezogenen Moselschleife passieren wir erst Trittenheim und anschließend Neumagen-Dhron. Hier fällt uns eine riesige Sonnenuhr auf einem der Weinhänge auf, die wir gespannt beäugen, um aber im Laufe der Tour festzustellen, dass gefühlt jedes dritte Örtchen entlang der Mosel so ein Ding irgendwo angebracht hat.

Mittagspause in Piesport

Die Mosel-Loreley ist eine beeindruckende Felsformation bei Niederemmel

Am Nachmittag tauchen vor uns steile Felsklippen auf. Bäume wachsen in fast unmöglichen Lagen in die Höhe, eine ganz besondere Stimmung liegt in der Luft. Der Schriftzug auf den Steinen verrät: An dieser Stelle erblicken wir die Mosel-Loreley – angelehnt an das berühmte Pendant am Rhein. Alljährlich Anfang Juli findet hier ein Großfeuerwerk statt: „Moselloreley in Flammen.“ Welch ein grandioser Anblick müsste das vom Kajak aus sein, doch dafür sind wir einige Wochen zu spät dran.

Die dunklen Wolken am Morgen und die Wetterapp haben nicht gelogen. Ein kurzer, aber kräftiger Regenschauer ergießt sich kurz darauf über uns. Die Regenjacken hatten wir vorsichtshalber eh bereits angezogen, nun schließen wir also die Spritzdecken und setzen die Kapuzen auf. „Gestern wäre so ein Schauer eine willkommene Abkühlung gewesen“, lacht Julia. Das stimmt, den Spaß nimmt uns das feuchte Wetter aber dennoch nicht.

Wasser von oben und unten: Ein heftiger Regenschauer zieht über die Mosel hinweg

Die Burgruine Landshut kündigt Bernkastel-Kues an

Als wir unser Tagesziel Bernkastel-Kues erreichen, hat es sich wieder aufgehellt. Am oberen Hang zeigt sich zuerst die Burg Landshut aus dem 13. Jahrhundert, auch der 600 Jahre alte mächtige Turm der Pfarrkirche St. Michael fällt ins Auge. Wir durchqueren zunächst das Örtchen, um beim Bernkasteler Ruderverein unser Hab und Gut zu parken. Als alles verstaut und die Schlafsäcke im schönen Vereinsheim ausgerollt sind, statten wir der hübschen historischen Altstadt mit dem kleinen Marktplatz und den vielen Läden einen Besuch ab, und stärken uns im wundervollen Restaurant Grabenschänke, direkt an einem Weinhang. Besser kann man einen Moselpaddeltag kaum beenden.

Abendstimmung in Bernkastel-Kues

Die Innenstadt von Bernkastel-Kues ist geprägt von etlichen Fachwerkhäusern und kleinen
Gassen

In den folgenden Tagen gehen wir es etwas gemütlicher an, die Etappenlängen belaufen sich nur noch auf durchschnittliche 22 Kilometer. So bleibt uns mehr Zeit, um die Örtchen entlang der Mosel zu erkunden oder um die ein oder andere kleine Wanderung einzulegen. In Zell begeben wir uns beispielsweise auf den Steilpfad zum Collis-Turm hinauf. Die rund 45 Minuten kraxeln und klettern werden mit einem grandioses Panoramablick aus etwa 250 Metern Höhe auf die Stadt und das Tal belohnt.

Wer gern wandert, wird mit einem tollen Panoramablick belohnt.

Auf der Mosel bei Ürzig und Erden

Hochmoselbrücke der B50. 158 Meter hoch, 175 Millionen Euro teuer.

Die Zeller schwarze Katz ist das Wappentier der Stadt.

Auch die Geschichten rund um die Städte und deren Weinlagen sind durchaus lesenswert. Da wäre zum einen die schwarze Katze von Zell, die heute als Wahrzeichen dient und einst den Winzern bei ihrer Entscheidung geholfen haben soll, den besten Wein dieser Lage auszuwählen. Oder auch die Hänge mit dem dubios klinkenden Namen „Kröver Nacktarsch“, die angeblich so heißen, weil sie im Winter besonders kahl aussehen – oder weil laut der Legende ein Kröver Kellermeister zwei Jungen dabei erwischt haben soll, wie sie heimlich aus einem seiner Fässer Wein tranken. Zur Strafe gab es für die beiden Buben Klapse auf die nackten Hintern.

Marktplatz von Zell

Marienburg

Pause vor Pünderich

Wir paddeln munter weiter. Vorbei an der Marienburg bei Pünderich und der 314 Meter langen Doppelstockbrücke bei Bulley passieren wir anschließend den berühmten Bremmer Bogen. Er ist die engste Moselschleife, beliebtes Postkartenmotiv und fordert die Berufsschifffahrt jedes Mal mächtig heraus.

Doppelstockbrücke bei Bulley

Normalerweise werden die Kajaks bei solch einer Wochentour von Tag zu Tag leichter. Dieses Mal ist das jedoch etwas anders: Wir kehren hier und da bei kleinen Winzern ein, verköstigen leckeren Wein und können es uns nicht verkneifen, die ein oder andere Flasche zu ergattern. Als wir am vorletzten Tag auf dem Weg nach Cochem eine Pause nahe einer urigen Weinhandlung einlegen, schmeckt uns der Umtrunk so gut, dass das erworbene Edelgetränk am Ende in einer Pappkiste oben auf Julias Enduro festgezurrt werden muss.

Voll beladen: Wenn der Wein nicht mehr in den Enduro 380 passt, wird er eben oben drauf
befestigt.

Die Reichsburg von Cochem ist schon von Weitem zu sehen.

Die majestätische Reichsburg kündet schon von weitem die Kreisstadt Cochem an. Die Burg wurde 1130 erstmals urkundlich erwähnt und umweht eine lange, ereignisreiche Geschichte. Nachdem wir unsere Zelte aufgeschlagen haben, spazieren wir durch die Innenstadt hinauf zur Festung und bestaunen deren Anblick und den Ausblick ins Tal.

Blick auf die Mosel bei Cochem

Idylle: Zelten in Senheim mit Moselblick.

Cochem

Nebelschwaden und tiefhängende Wolken verleihen der Mosel eine andächtige Stimmung.

Der Fährturm von Hatzenport kündigt das Ende unserer Tour an.

Zum Abschluss verabschiedet sich die Mosel in ganz besonderem Gewand. Tiefhängende Wolken verschlucken die Berge von Eifel und Hunsrück, Nebel wabert auf dem Wasser. Ergriffen von diesem atemberaubenden Anblick paddeln wir still und andächtig vor uns hin. Erst gegen Mittag, als wir bereits Treis-Karden erreicht haben, setzt sich die Sonne allmählich durch. Wir lassen Burg Bischofsheim links und das Kneipenschiff „Klabautermann“ rechts liegen und halten Kurs auf Hatzenport. Am dortigen Fährturm, wo einst Napoleon mit seinen Truppen die Mosel überquert haben soll, holen wir ein letztes Mal die Boote aus dem Wasser. Während die eine Hälfte der Gruppe auf unsere sieben Sachen aufpasst, holt der Rest per Zug die Autos nach. Viel zu schnell verging diese Woche auf diesem wundervollen Fluss, der uns mit so vielen unterschiedlichen Dinge immer wieder aufs Neue verzaubert hat.

 

 

Hier gelangt ihr zum Tourenvideo:

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