Bienvenido en Ecuador

 

Text & Bilder: Sebastian Gruendler und Ulrich Kittelberger

 

 

Ob fettes Wuchtwasser, kleine steile Sturzbäche, Mehrtagestouren durch den tropischen Regenwald, feinstes technisches Wildwasser oder gar Erstbefahrungen – in Ecuador kommen alle auf ihre Kosten, egal nach welcher Schwierigkeit es einen gerade gelüstet. Und als Extraboni warmes Wasser, Surfen am Meer, kurze Distanzen und aromatisches Obst dessen Geschmack man in Europa vergebens sucht! Bienvenido en Ecuador!

 

 

Von unserem Camp in Tena aus tauchen wir ein in tropische Temperaturen. Wir paddeln die Standardstrecken auf Misahuallí von Lodo bis Reten und dem Jondachi alto mit Start im Urcusiqui. Eingerahmt von üppigem unberührtem Regenwald gehören diese zehn Kilometer zum vielleicht besten Wildwasser weltweit. In einer nicht enden wollenden Aneinanderreihung von Katarakten und kleinen Stufen stürzt der Jondachi talwärts und garantiert pausenlose Unterhaltung, welche man nicht nur bei der ersten Kennenlernfahrt nicht bei zu viel Wasser erleben möchte!

 

 Für den nächsten Tag haben wir uns einen weniger bekannten Leckerbissen ausgesucht. Früh morgens treffen wir unseren Fahrer an der Polizeistation in Archinonda und schrauben uns am Hollíneinstieg vorbei weiter in die Berge hinauf. In der Ortschaft Diez de Agosto noch vielfach beäugt sind wir nur wenige hundert Meter weiter allein auf dem schlammigen Weg hinab zum Huataracu. Die ersten Stellen spülen uns schnell sauber von Schweiß und Dreck, und vor allem weg von der Zivilisation in eine tiefe und einsame Schlucht mit nur einem Ausweg. Anfangs sind die Stellen noch etwas hakelig und nicht jedes Unterwasser hält, was ein oberflächlicher Blick aus dem letzten Kehrwasser verspricht. Doch dann stoßen wir immer öfter auf Grundgesteinspassagen. Sehr unterhaltsames Wildwasser bahnt sich seinen Weg durch immer wieder klammige Passagen, welche von üppigster Vegetation schier aufgefressen zu werden scheinen. Riesenbaumstämme liegen ganz oben quer über den Klammwänden und werden vom tropischen Regenwald langsam wieder in ihre organischen Bestandteile zersetzt.

 

 

Plötzlich – wir haben uns von der märchenhaften Szenerie einlullen lassen – taucht vor uns zwischen senkrechten Felswänden jäh eine Abbruchkante auf, Rückzug nicht mehr möglich. Die Optionen sind schnell erfasst: entweder links in einen unsauberen Baumverhau boofen mit fragwürdigem Ausgang des Geschehens oder die fünf Höhenmeter ganz rechts wie eine Flipperkugel in einem engen Felskanal an sich vorüberziehen lassen ohne großen Einfluss und – viel tragischer: ohne Ellbogenschoner. Ein schöner Anblick war die Befahrung dieser Stelle sicher nicht! Doch da man ja zum Vergessen der unschönen Geschehnisse des Lebens neigt würde ich heute auf jeden Fall wieder in diesen faszinierenden Bach einsteigen!

 

 

Da uns nach diesem Unternehmen nach etwas ruhigerer Unterhaltung zumute ist kommt ein in diversen Berichten als traumhaft beschriebener Granit-Bouldergarten gerade recht. Zwischen großen und sehr großen rundgeschliffenen Felsblöcken bietet der Piatua oft verschiedene Routen und – je nach Fahrkönnen – Raum zur Entfaltung verschieden ambitionierter Kreativitätslevel. Alle Stellen sind fahrbar, angeblich gibt es kein Wasserstandslimit. Wieder etwas erholter erwischen wir am nächsten Tag den von rechts mündenden Anzu alto bei richtig fettem Hochwasser und genießen ein Wuchtwassererlebnis der Extraklasse – hier gibt es sicher auch kein Limit nach oben.

Tags darauf nehmen wir zusammen mit dem sechzehn Jahre alten Pablo den Topo in Angriff. Uns fällt eine gewisse Nervosität beim Bruder des Lokalmatadors Lucho Granizo auf. Als wir starten haben wir noch keine Ahnung davon, dass das für Pablo der mit Abstand höchste Wasserstand seines Hausbachs ist, den er je erlebt hat. Obwohl er alle Stellen perfekt vorfährt sind wir nach den ersten drei Kilometern völlig am Anschlag. Wir kleben ihm in kurzem Abstand auf den Fersen, ohne ein einziges Kehrwasser zu nehmen. Während diverser Boofs klappt uns beim Überfliegen der kapitalen Rückläufe nicht nur einmal schier die Kinnlade nach unten und wir sind jedes Mal heilfroh, dass nach der Landung nicht plötzlich der Rückwärtsgang einsetzt. Im Mittelstück entspannt sich Pablos Haltung etwas, er sagt „ahora el río se calma un poco“. Während ich mit Fragezeichen in den Augen noch überlege, ob das in etwa heißen könnte, dass es kurz mal etwas ruhiger wird, sehe ich den hinter mir fahrenden Kitt plötzlich kopfüber von vorne, bevor es dunkel wird. Der unerwartete freie Überschlag trägt nicht gerade zu meinem Selbstbewusstsein bei, zumal es nach kurzer Zeit wieder richtig steil wird. Auf einmal sitzen wir wie aufgereiht in drei auf und ab pulsierenden Kehrwässern und Pablo signalisiert, dass jetzt die schwerste Stelle mit dem rechts zu vermeidenden Syphon kommt, in welchem der halbe Fluss verschwindet. Dass es sich nun auf einmal um eine Zwangspassage handelt, war ihm angesichts des hohen Wasserstands vielleicht selbst nicht richtig bewusst. An Kitt’s Gesichtsausdruck ist deutlich zu erkennen, dass ihm der Anblick des unter diversen Felsen weggurgelnden Wasser überhaupt nicht zusagt. Richtig finster wird sein Blick aber erst, als Pablo mit aller Kraft erfolglos die schräge Rampe vor dem Syphon zu überqueren versucht. Nach kurzem harten Kampf landet er kopfüber genau an der Wand, an welcher wir nicht einmal aufrecht im Boot sitzend landen wollen. Wie durch ein Wunder wird er nicht sofort verschluckt, kann irgendwie rollen und sich gerade so nach links davonstehlen. Nicht gerade in High-Five-Stimmung, aber in Ermangelung anderer Optionen beschleunige ich ebenfalls auf besagte Ebene und treibe meinen Curve unter Aufbietung aller Kräfte nach links und weg von der Gefahrenstelle. Den Dreimeterfall am Ende nehme ich kaum noch wahr, lande im riesigen Tumpf, in welchen von rechts gewaltig das Wasser aus dem syphonierten Felsverhau pilzt. Zum Glück schwebt Kitt kurz darauf ebenso unversehrt ein. Nachdem uns die anderen auf den letzten Metern vor dem Ausstieg beobachten konnten sehen sie von einer Befahrung ab, worüber Kitt und ich nicht undankbar sind. Fakt bleibt aber: der Topo ist ein absoluter Traumbach, nur sollte man ihn nicht bei zu viel Wasser angehen!

 

 

 

 

Resümierend bleibt festzuhalten, dass wir selten in einem Kajakurlaub soviel tolles Wildwasser in so kurzer Zeit erleben durften. Vor allem auch die Länge der Etappen ist für europäische Verhältnisse absolut beeindruckend. Oft paddelt man stundenlang, ohne mit Zivilisation konfrontiert zu werden – ein paar massive Energy-Riegel in der Schwimmweste können da auf keinen Fall schaden. Und es noch so viele andere Flüsse zu paddeln und noch viel mehr Unbekanntes zu entdecken, dass wir fast nicht umhinkönnen als in näherer Zukunft einmal wiederzukommen – aber con mucho gusto!